
Sehr verehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
ob mit oder ohne Migrationshintergrund,
oder viel schöner formuliert, ob mit oder ohne internationale Geschichte,
lassen Sie mich gleich zu Beginn die Frage aller Fragen stellen: „Wie gut funktioniert die Integration in Österreich?“ Nun, die Frage ist nicht gerade eine einfache und die Antwort hängt vor allem davon ab, an wen diese Frage gerichtet wird.
Geht es um die Politik, dann funktioniert Integration sehr schlecht. Denn gerade in der Politik findet man die größten Integrationsverweigerer, die eine Politik der Strafen, Kürzungen und Drohungen betreiben. Nicht ohne Grund, denn mit Angstverbreitung, Menschenverachtung und Hetze kann man in diesem Land und in diesen Zeiten viel einfacher politisch punkten als mit Verstand und Sacharbeit. Wenn solche Politikerinnen und Politiker von Heimat sprechen, wenn sie „unser Land“, „unsere Werte“ und „unsere Kultur“ sagen, dann tun sie dies oft in einem Rahmen, der knapp 1,8 Millionen Menschen ausgrenzt. Und ja, wir fühlen uns in diesem Land – in unserem Land oder in dem Land unserer Kinder – manchmal nicht mehr sicher.
Aber unsere politische Landschaft ist noch bunter als gedacht.
Denn außer „Integrationsverweigerern“ gibt es auch „Mitwisser“, die die Menschenverachtung und die Hetze aus politischem Kalkül zulassen. Und es gibt auch „mutlose Nixwisser“, die zwar auf der sogenannten „richtigen Seite“ stehen, aber sich aus Angst vor Hetzern ungern in der Nähe von Migrantinnen und Migranten zeigen. Zum Glück gibt es aber auch mutige Einzelkämpferinnen und -kämpfer, die sich trotz des politischen Klimas und schlechter Umfragewerte für eine offene, vielfältige Gesellschaft, in der wir ohnehin leben, einsetzen.
Die österreichische Integrationspolitik in ihrer gegenwärtigen Form ist zum Scheitern verurteilt. Es ist eine Politik, die Integration behindert, die kein Mitgefühl zeigt und Probleme produziert, die sie zu bekämpfen vorgibt.
Das, meine lieben Freundinnen und Freunde, gefährdet den langfristigen sozialen und gesellschaftlichen Frieden in unserem Land.
Eine gute Integrationspolitik versucht nicht, Einwanderinnen und Einwanderer in „richtige“ Österreicher zu verwandeln, sondern ist vielmehr das Zusammenführen einer zunehmend heterogenen Gesellschaft. Menschen mit Migrationshintergrund müssen das Gefühl haben, dass sie hierhergehören. Aber wir sind heute leider weiter davon entfernt als früher.
Und jetzt noch einmal zurück zu der Frage „Wie gut funktioniert die Integration in Österreich?“. Geht es nach einem Teil der Medienlandschaft – und da denke ich insbesondere an den „Boulevard“ –, dann funktioniert Integration sehr schlecht. Denn die Zeitungen sind voll von Berichten über serbische Diebesbanden, afrikanische Drogenringe und kriminelle Flüchtlinge. Die Migrantinnen und Migranten sind leider zum Kollateralschaden der sinkenden Printauflagen geworden. Denn leider ist es nicht nur leichter, solche Blätter mit Angst und Hass zu verkaufen, sondern – noch schlimmer – mit einer solchen Blattlinie ist es leichter geworden, die Inserate vieler öffentlicher Institutionen zu bekommen. Und als ob das nicht schlimm genug wäre, finanzieren auch Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mit Migrationshintergrund mit ihrem eigenen Geld teilweise Hetze, die sich gegen sie selbst und ihre Familien richtet. Ein Teil der österreichischen Medienlandschaft produziert immer noch das stereotype Bild, dass Migrantinnen und Migranten – auch wenn sie bereits seit zwei Generationen in Österreich beheimatet sind – immer noch integriert werden müssen. Um ein mediales Ghetto zu vermeiden, müssen die Verantwortlichen weniger Angst vor solchen Medien haben und gleichzeitig die andere Seite der bunten Medienlandschaft vermehrt unterstützen. Das sage ich auch als Herausgeber zweier fremdsprachiger Publikationen, weil unsere Arbeit Tag für Tag erschwert wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
geht es nach Menschen, die in diesem Land leben, funktioniert Integration sehr gut. Um das zu beweisen, braucht man keine Umfragen oder Statistiken. Es reicht auch eine Prise logischen Menschenverstands. Ich gebe Ihnen ein konkretes Beispiel dafür: Hier in Wien sprechen wir mittlerweile über 200 Sprachen und den Großteil der Bewohnerinnen und Bewohner unserer Stadt machen Menschen mit Migrationshintergrund aus. Zeitgleich ist die Stadt Wien laut vielen Umfragen und Studien eine der lebenswertesten Metropolen der Welt. Und jetzt eine einfache Frage dazu: Wäre das auch so, hätten wir Parallelgesellschaften und damit ein großes Integrationsproblem? Natürlich nicht! Denn jenseits der politischen Parolen, Wahlkämpfe und reißerischen Zeitungsüberschriften funktioniert das gesellschaftliche Zusammenleben sehr gut. Das sage ich nicht nur so, das beweisen wir heuer zum neunten Mal mit mehr als 250 Veranstaltungen in ganz Österreich und mit über 200 Kooperationspartnerinnen und -partnern, mit denen wir in den nächsten 30 Tagen die Vielfalt Österreichs hochleben lassen werden.
Eines dürfen wir nicht vergessen: Österreichweit gibt es unzählige Initiativen und Projekte, in deren Rahmen sich tausende Menschen täglich für Vielfalt einsetzen. Und ich möchte nun die Gelegenheit nutzen, nicht nur als Initiator der Integrationswochen, sondern auch als ehemaliger Flüchtling diesen Menschen aus ganzem Herzen für ihren großartigen Einsatz zu danken.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
wir reden in letzter Zeit sehr viel über Integration und meinen damit aber eine kleine Gruppe von Menschen, die in den vergangenen Jahren als Geflüchtete zu uns gekommen ist. Das Thema Migration betrifft aber nicht nur eine Randgruppe und nicht nur 1,8 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, es betrifft uns alle. Und es ist nicht die Frage, ob Österreich ein Einwanderungsland ist und ob wir in einer bunten Gesellschaft leben, sondern die Frage lautet: Wie gehen wir damit um? Es gibt keine homogene Gruppe, die man als Migrantinnen und Migranten bezeichnen kann. Diese Ansicht gehört genauso ins Archiv wie die Frage, ob wir ein Zuwanderungsland sind. Und so heterogen, wie die Gruppe der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ist, so differenziert müssen die Antworten auf Fragen zu Migration und Integration auch sein. Und diese Antworten werden wir sicher nicht finden, wenn wir die wichtigste Voraussetzung dafür nicht erfüllen: Wir müssen miteinander reden! Und deswegen ist das Motto der diesjährigen Integrationswochen „Miteinander. Im Dialog“. Wir müssen über den Hass und die Hetze sprechen, die gegen uns und unsere Kinder gerichtet ist. Aber auch über Probleme wie kriminelle Geflüchtete oder das Gewaltpotenzial von Religionen. Wir müssen gemeinsam Extremisten jeglicher Art die rote Linie aufzeigen und zugleich die „Guten“ wachrütteln. Eine Einwanderungsgesellschaft braucht eine „Streitkultur“, weil die gelingende Integration zu neuem Konfliktpotenzial, zu Ressourcen- und Interessenskonflikten führt. Das klingt zwar ziemlich bedrohlich, ist aber trotzdem eine positive Entwicklung. Weil jede gute Beziehung auch zu Konflikten führt.
Der deutsche Bildungs- und Migrationsforscher Aladin El-Mafaalani verdeutlicht diese These mit einem Vergleich: Die erste Generation von Migrantinnen und Migranten sitze nicht mit am Tisch, wenn die Einheimischen den Kuchen essen. Die zweite Generation sitze schon mit am Tisch und fordere ihren Anteil ein. Und die dritte Generation wolle nicht nur mitessen, sondern auch bestellen. Er sagt außerdem, die Migrantinnen und Migranten würden zudem sensibler für Ungerechtigkeiten und Diskriminierung werden. Er sagt auch, dass es falsch und gefährlich sei, zu glauben, dass Rassismus und Rechtsextremismus weniger werden, wenn wir mit der Integration voranschreiten. Die Fokussierung auf Konflikte sei aber nicht pessimistisch, denn diese Konflikte seien der Motor einer Gesellschaft.
Meine lieben Freundinnen und Freunde,
ja, die Integration funktioniert heute so gut wie nie. Aber was viel weniger funktioniert, ist die Partizipation von Migrantinnen und Migranten. Die Institutionen sind sehr weit davon entfernt, ein Spiegel der Gesellschaft zu sein. Im Unterschied zu Deutschland findet man im österreichischen Web kaum Publikationen zum Thema „interkulturelle Öffnung“. Wir reden immer noch übereinander und selten miteinander. Aber eine starke, moderne und offene Gesellschaft braucht die Einbindung aller Akteure. Das sind Aufgaben, die einen langen Atem brauchen und nachhaltiges Denken und Handeln benötigen. Wir müssen sehen, was uns verbindet, und das fördern. Wir müssen von Toleranz hin zu Akzeptanz, diese erlebbar machen und eine zivilcouragierte Bildung betreiben. Unsere Gesellschaft ist längst bunt und mehrsprachig geworden und hat keine Alternative. Denn wir alle sind Österreich und spielen alle im gleichen Team. Und ein Team ist nur so stark wie sein schwächstes Glied. Wir dürfen nicht zulassen, dass der Begriff „Heimat“ als Ausgrenzungsinstrument missbraucht wird. Denn Österreich ist unser aller Heimat. Für manche von uns eine zweite oder Wahlheimat, aber die einzige Heimat unserer Kinder. Und das ist das, was uns alle miteinander verbindet. Eine gelungene Integration erkennt man daran, dass mehr Menschen ihre Bedürfnisse und Wünsche äußern. Dass sie die Gesellschaft mitgestalten und darüber diskutieren wollen. In diesem Sinne werden heute Abend die „MigAwards“ – Preise der österreichischen Migrantinnen und Migranten – verliehen. In unserer Jury sitzen über 450 Migrantinnen und Migranten, die auch heuer entscheiden durften, was sie gut, aber auch, was sie schlecht finden. Ihre Entscheidungen werden Sie im Anschluss erfahren.
Und weil uns die Partizipation ein großes Anliegen ist, haben wir heuer noch zwei große Projekte: Am 25. April findet im Congress Center der Messe Wien der „1. Österreichische Integrationskongress“ statt, in dessen Rahmen Expertinnen und Experten aus Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft eigene Projekte präsentieren und gleichzeitig über die Zukunft diskutieren werden.
Und einige Monate später, am 12. September, findet in der Wiener Hofburg der „1. Österreichische Integrationsgipfel“ statt, auf dem wir mehr als 300 Vertreterinnen und Vertreter migrantischer Organisationen sowohl mit der Spitzenpolitik als auch mit Vertreterinnen und Vertretern von NGOs sowie aus der Wissenschaft, der Wirtschaft und den Medien zusammenbringen. Auf dem Integrationsgipfel wird auch der neu gegründete ExpertInnenrat für Integration präsentiert sowie eine gemeinsame Stellungnahme der MigrantInnenorganisationen. Ich lade Sie hiermit alle herzlich zu beiden Veranstaltungen ein. Wir werden später Einladungen zum Kongress in gedruckter Form an die Frau und den Mann bringen.
Und bitte auch nicht vergessen: Vom 1. bis 6. Oktober findet zum zweiten Mal die Veranstaltung „DIVÖRSITY – Österreichische Tage der Diversität“ statt, in deren Rahmen wir zum ersten Mal mit unserer Partneragentur „Brainworker“ den Diversitätspreis verleihen werden. Aber nicht nur das: Es erwarten Sie auch ein „DIVÖRSITY-Kongress“ im Haus der Industrie sowie über 300 Aktionen, mit denen sich die österreichische Wirtschaft von ihrer bunten Seite zeigt.
Last but not least: Ich möchte abschließend die Gelegenheit nutzen, allen zu danken, die die Integrationswochen auch heuer ermöglicht haben.
Ein großes Dankeschön geht an unsere über 200 Kooperationspartnerinnen und -partner, die in nächsten 30 Tagen die Vielfalt hochleben lassen werden.
Danke an unsere Hauptsponsoren: die AK Wien, die MA 17 der Stadt Wien, die SPÖ Wien, die VHS Wien und die Wirtschaftsagentur Wien.
Dankeschön auch an unsere Unterstützer: den waff, die Wien Holding, die Kunsthalle Wien, die Anton Bruckner Privatuniversität und das WUK. Aber natürlich auch an alle anderen, die dieses Projekt auf verschiedenste Weise unterstützt haben.
Danke an unsere Freundinnen und Freunde von der Bezirkszeitung, Heute, Okto, KOSMO und vienna.at für die Möglichkeit, auch gute Nachrichten mit der Öffentlichkeit zu teilen.
Übrigens: Auch heuer wird die Eröffnungsgala live auf Okto übertragen. Daher nutze ich die Gelegenheit, alle unsere Freundinnen und Freunde in den anderen Bundesländern zu grüßen und den Kooperationspartnerinnen und -partnern für ihre Veranstaltungen viel Erfolg zu wünschen.
Ich nutze auch die Gelegenheit, meinem Team zu danken. Danke, Kathi, Bettina, Merita, Hannah, Ozzy und Siniša. Ihr habt echt was geleistet!
Und DANKE an Jürgen, Uschi, Philipp, Sabrina, Gernot, Tülay, Alev, David und Faika, ohne die der „1. Österreichische Integrationskongress“ und der „Integrationsgipfel“ nicht möglich wären.
Hiermit erkläre ich die Integrationswochen 2019 für eröffnet und sage dazu:
Österreich ist nicht nur Österreich, Österreich ist auch Austrija, Österreich ist auch Avusturya, Österreich ist auch alt, lesbisch, migrantig und vieles mehr. Österreich ist bunt! Und das ist schön so.
Es lebe die Vielfalt. Hvala!
Foto: Igor Ripak