
Im Rahmen der Integrationswochen 2025 sprechen wir mit Selma Arapović, Klubobfrau der NEOS Wien und Sprecherin für Stadtentwicklung, Stadtplanung, Stadterneuerung und Wohnen. Die gebürtige Bosnierin, die selbst als Kind vor dem Krieg fliehen musste, bringt eine besondere Perspektive in die Wiener Politik: persönlich, liberal und zukunftsorientiert. Im Interview spricht sie offen über populistische Parolen, Integration als gemeinschaftliche Aufgabe, die Bedeutung politischer Repräsentation für Menschen mit Migrationsbiografie – und darüber, warum Demokratie für sie mehr ist als ein System: nämlich ein Versprechen auf Mitgestaltung.
Ganz ehrlich: Slogans wie “Deutsch vor Zuzug” oder “Österreichische Werte” klingen etwas populistisch…
Populismus ist nicht unser Stil. Darum gehen wir auch mit der Ansage „Ganz ehrlich“ in die Wahl: Wir sprechen Probleme ehrlich an, schlagen aber auch Lösungen vor. Und momentan sehen wir, dass im Bereich des Zusammenlebens, auch in der Deutschförderung, viel zu tun ist. Und es geht nicht nur um österreichische Werte, sondern um Werte in einer liberalen Demokratie.
Macht uns „Deutsch vor Zuzug“ in Zeiten des Fachkräftemangels nicht weniger wettbewerbsfähig?
Im Einzelfall – etwa bei hochqualifizierten Fachkräften oder Expats – mag das eine berechtigte Frage sein. Gleichzeitig stehen wir aktuell vor der großen Herausforderung, viele Menschen nachhaltig in unsere Gesellschaft zu integrieren. Sprache ist dafür ein zentraler Schlüssel. Ein funktionierendes Integrationssystem braucht auch klare Strukturen und realistische Rahmenbedingungen – sowohl für die Menschen, die kommen, als auch für die aufnehmende Gesellschaft. Es geht also nicht um Ausschluss, sondern darum, Integration gut und langfristig tragfähig zu gestalten.
Die Regierungsbeteiligung der NEOS in Wien jährt sich bald zum fünften Mal. Woran lässt sich Ihr Einfluss in der Stadtpolitik am deutlichsten erkennen?
Ganz sicher in der Bildung. Mit der Corona-Pandemie, dem Familiennachzug, Tausenden neuen Kindern aus der Ukraine hatten wir enorme Herausforderung – in manchen Monaten haben wir 20 neue Klassen eröffnet. Gleichzeitig sind viele Reformen umgesetzt, die Wiener auf Jahrzehnte positiv prägen werden. Das geht nur mit uns.
Die Wahlen in Wien stehen vor der Tür und sind für Ihre Partei wichtiger denn je. Zum ersten Mal gehen Sie heuer in Wien nicht als Oppositions-, sondern als Regierungspartei ins Rennen. Druck oder Chance?
Chance. Als Opposition hat man es leichter, man muss nur dagegen sein, man muss nicht auf Machbarkeit schauen. Aber wir NEOS haben unsere Versprechen gehalten und haben einen guten Track Record, mit dem wir in die Wahl gehen – das sorgt für Glaubwürdigkeit, die man nur durch ehrliche Arbeit bekommt.
Die Mehrheit der Wiener Bevölkerung hat einen so genannten Migrationshintergrund. Wie beeinflusst das die Politik Ihrer Partei?
Für uns NEOS ist gutes Zusammenleben ein zentrales Anliegen.
Dabei geht es nicht nur um das Erlernen der Sprache, sondern auch um Teilhabe, Begegnung und aktives Mitgestalten. Integration gelingt dann am besten, wenn Menschen wirklich in der Mitte der Gesellschaft ankommen. Wenn sich Gemeinschaften dauerhaft voneinander abkapseln, geht dieses Miteinander verloren – und mit ihm auch viele Chancen, etwa auf politische Repräsentation. Dass viele Menschen mit vielfältigen Wurzeln in Wien leben, sich aber nur wenige in politischen Gremien wiederfinden, zeigt, dass wir noch Arbeit vor uns haben.
Sie sind selbst als Flüchtling aus Bosnien-Herzegowina nach Österreich gekommen. Welchen Einfluss hat diese Erfahrung auf Ihre politische Arbeit?
Ich bin als Kind vor dem Krieg geflüchtet und habe sehr früh erfahren, wie zerbrechlich Frieden und Freiheit sein können. Umso mehr weiß ich zu schätzen, was es bedeutet, in einer Demokratie zu leben – mit freien Wahlen, Meinungsvielfalt und echten Mitgestaltungsmöglichkeiten. Diese Erfahrung hat meine politische Haltung geprägt: Ich liebe die Demokratie, weil sie Raum für Unterschiedlichkeit lässt – aber auch, weil sie uns in die Verantwortung nimmt, aktiv mitzugestalten.
In Wien sind mehr als ein Drittel der Einwohner:innen über 16 Jahre nicht wahlberechtigt, weil sie eine andere Staatsbürgerschaft haben. Sind die Wahlergebnisse überhaupt noch legitim?
Legitim sind sie, aber es sind nicht alle abgebildet. Wir wollen einerseits, dass EU-Bürger:innen den Gemeinderat wählen dürfen – das dürfen sie in jeder anderen Gemeinde auch, nur in Wien nicht, weil der Gemeinderat auch der Landtag ist. Außerdem wollen wir den Zugang zur Staatsbürgerschaft fairer gestalten. Besonders das geforderte Mindesteinkommen stellt eine Hürde dar, die viele – selbst mit österreichischer Staatsbürgerschaft – nicht erfüllen würden.
Wien gilt als die lebenswerteste Stadt der Welt. Gilt das auch für Menschen mit Migrationsbiografie, die in der Wiener Verwaltung deutlich seltener in höheren Positionen vertreten sind?
Die hohe Lebensqualität Wiens soll für alle gelten – unabhängig von Herkunft oder Biografie. In der Realität sehen wir aber, dass Menschen mit Migrationsgeschichte in bestimmten Bereichen – etwa in der Verwaltung oder in Führungspositionen – noch deutlich unterrepräsentiert sind. Deshalb setzen wir NEOS uns gezielt für mehr Vielfalt in öffentlichen Institutionen ein. Ein Beispiel dafür ist unser Einsatz für mehr Diversität in der Polizei – ein Schritt, den wir auch auf andere Bereiche ausweiten wollen. Denn: Eine Stadt, die für alle lebenswert sein will, muss auch von allen mitgestaltet werden können.
Erlauben Sie uns zum Schluss noch eine Lifestyle-Frage: Wo feiert man in Wien am besten ein gutes Wahlergebnis?
Es geht nicht um wo, sondern mit wem. Und ich bin zuversichtlich: Wir werden wie immer die beste Wahlparty haben – und einen guten Grund zum Feiern.
Autorin: Karina Herber