
In Österreich wird an die Solidarität der Bevölkerung appelliert, um die CoronaKrise zu meistern. Doch von der Bereitstellung von Information bis zum Dankesagen – die Integration von Migrantinnen bleibt eine holprige Angelegenheit, auch in Zeiten, die besonders unseren Zusammenhalt erfordern.
STORY: RONJA NEGER
In Wien spielte die Polizei auf ihren Streifenfahrten an den Wochenenden Rainhard Fendrichs „I am from Austria“. Mit dieser „Imageaktion“ wollten sich die BeamtInnen für die Hilfe der Bevölkerung im Kampf gegen das Coronavirus bedanken und für gute Stimmung sorgen. In einer ersten Reaktion auf die Aktion sagte Fendrich in einer Videobotschaft an „Wien heute“: „Wenn mein Lied dazu beitragen kann, dass die Solidarität gestärkt wird, dann wird ‚I am from Austria‘ endlich so verstanden, wie ich es gemeint habe: nämlich dass Österreich zusammensteht, wenn es darauf ankommt.“
An den Zusammenhalt appelliert auch die Regierung mit der Kampagne „Schau auf dich, schau auf mich“. Seit in Österreich klar ist, dass die Coronakrise nicht ohne die Beteiligung der Zivilbevölkerung überwunden werden kann, wendet sich Bundeskanzler Sebastian Kurz häufiger als sonst an die Öffentlichkeit. „Liebe Österreicherinnen und Österreicher“, beginnt er meistens seine Ansprachen. Damit spricht Kurz zwar die Mehrheit seiner ZuschauerInnen an, übergeht aber auch einen erheblichen Teil der österreichischen Bevölkerung mit Migrationshintergrund.
Nach Angaben der Statistik Austria lebten in Österreich zu Beginn des Jahres 2019 ca. 1,44 Millionen Menschen mit einer ausländischen Staatsbürgerschaft. Das entspricht 16,2 Prozent der Gesamtbevölkerung, die aufgrund ihrer Nationalität nicht als ÖsterreicherInnen bezeichnet werden. Definiert man MigrantInnen nach Geburtsort, sind es 19,5 Prozent der Gesamtbevölkerung, die nicht in Österreich geboren wurden. Geht man von internationalen Definitionen von Menschen mit Migrationshintergrund aus, sind es 23,3 Prozent der Gesamtbevölkerung, deren Eltern im Ausland geboren wurden. Wer sich als ÖsterreicherIn sieht oder nicht lässt sich mit diesen Definitionen und Zahlen zwar nicht eindeutig beschreiben. Die Frage, ob der Verweis auf die Nationalität in einer Ansprache über Corona überhaupt nötig ist, stellt sich aber doch. In Deutschland begnügt sich Angela Merkel in ihrer Ansprache beispielsweise mit der Anrede „Liebe Mitbürgerinnen und -bürger“. Natürlich ist auch hier nicht klar, wer genau gemeint ist. Die Problematik? Definitionssache. Auf der sicheren Seite wären Mann und Frau vermutlich nur mit „Liebe Mitmenschen“. Bundespräsident Alexander Van der Bellen umgeht die Sache mit „Liebe Österreicherinnen und Österreicher und alle, die hier leben“.
Schließlich ist jede und jeder Einzelne dazu aufgerufen, sich an der Bekämpfung des neuartigen Virus zu beteiligen. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus werden in diesen Tagen im Fernsehen, im Radio und im Internet ständig bekannt gegeben und geteilt: „Verlasst das Haus nur, wenn es notwendig ist, schränkt soziale Kontakte ein und helft euren Mitmenschen.“ Trotz der Vernetzung im 21. Jahrhundert stellt sich die Frage, ob diese Informationen auch an Bevölkerungsgruppen gelangen, die kein oder nur mäßig Deutsch sprechen. Das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz weiß um die beschränkten Zugangsmöglichkeiten und bietet die wichtigsten Informationen zum „leichteren Lesen“ auf einem niedrigen Sprachniveau – mit einfach gebauten Sätzen wie
„Die österreichische Regierung trifft laufend Maßnahmen, damit sich das Coronavirus nicht weiter ausbreitet“. Allerdings werden genau diese Maßnahmen nicht weiter erklärt. Dasselbe gilt für das mehrsprachige Angebot.
Nach Angaben der Statistik Austria lebten in Österreich zu Beginn des Jahres 2019 ca. 1,44 Millionen Menschen mit einer ausländischen Staatsbürgerschaft. Das entspricht 16,2 Prozent der Gesamtbevölkerung. In Wien sind es sogar 30,2 Prozent. Und gerade „weil Wien viele Sprachen spricht“, sei es wichtig, den Zugang zu Informationen mehrsprachig möglich zu machen, so Ursula Struppe, Leiterin der MA17 Wien für Integration und Diversität. Die Muttersprache sei angenehmer, vor allem in einer Situation der Verunsicherung. Deshalb stellt die MA 17 einen Telefonservice zur Verfügung, über das Fragen rund um das Coronavirus in der Erstsprache gestellt werden können.
Wer wissen möchte, wie sich die Krankheit in Österreich entwickelt oder welche gesetzlichen Maßnahmen es gibt, kann auch auf der Seite des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) nachlesen. Dort gibt es Informationen in 13 verschiedenen Sprachen, Sprachen – sowohl in Textform als auch über Videos. Für genauere Auskünfte kann man die Nummer der Hotline wählen und in elf verschiedenen Sprachen telefonieren. Auch wenn die MitarbeiterInnen am Telefon nur offizielle Informationen weitergeben dürfen, sieht Aleksandra Klepić, Pressesprecherin des ÖIF, dass der persönliche Kontakt am Telefon gut ankommt. „Die Leitungen laufen.“ Dazu beigetragen habe auch die Initiative des ÖIF, das Angebot aktiv an bestehende Kontakte zu vermitteln, zum Beispiel an Deutschkurs-TeilnehmerInnen. Die aktuelle Situation ist für alle Betroffenen verwirrend, bedenkt man die ständigen Anpassungen der Maßnahmen. So passierte auch dem ÖIF ein grober Fehler. Laut der Website des freien Journalisten Michael Bonvalot informierte der ÖIF auf seiner Homepage sowie in Direktnachrichten über Whatsapp seine Leser darüber, dass es nur drei Gründe gebe, das Haus zu verlassen: um zur Arbeit zu gehen, für dringend notwendige Besorgungen und um anderen Menschen zu helfen. Das Spazierengehen wurde anscheinend vergessen. Auf Anfrage teilte der ÖIF mit, dass es durch die rasche Aufbereitung der Seite in vielen Sprachen zu einem Versehen gekommen sei, das so rasch wie möglich behoben worden sei. Spazierengehen sei für jeden gleichermaßen erlaubt gewesen.
Patzer hin oder her. Die rasche Inanspruchnahme der mehrsprachigen Angebote des ÖIF zeigt, dass die Mehrsprachigkeit in der Coronakrise nicht nur nötig, sondern auch gefragt ist, und welche Bedeutung es haben kann, Menschen direkt anzusprechen. „Je mehr Menschen mittun, umso mehr Leben retten wir“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz in einer Fernsehansprache. Die Eindämmung des Virus benötigt nicht nur die Hilfe alle ÖsterreicherInnen. Es ist also an der Zeit, dass die Regierung lernt, die gesamte Bevölkerung Österreichs anzusprechen – und zu jeder und jedem Danke zu sagen. Auch wenn Rainhard Fendrich mit seinem Lied „I am from Austria“ an den Zusammenhalt in Österreich appelliert: Ist ein Song mit dem Titel „I am from Austria“ die beste Wahl, um sich bei der gesamten Bevölkerung für ihre Mithilfe zu bedanken?