
Rund 800 Personen, davon mehr als 450 VertreterInnen von Organisationen aus ganz Österreich, lauschten den Vorträgen und Referaten von hochkarätiger Speakerinnen und brachten sich in spannende Diskussionen über Integration, Migration und Teilhabe ein.
STORY: Sonja Quehenberger
Montag, 2. Dezember, 12:00 Uhr: Man tausche das Hauptstadtbüro gegen die Hofburg und die obligatorische Montagsüberdosis Kaffee gegen MigrantInnenpower – das war der „1. Österreichische Integrationsgipfel“! Natürlich nicht nur das: Denn das von Dino Schosche ehrenamtlich geleitete Projekt verfolgte eine klare Linie: Zukunft gelingt gemeinsam. „Es geht nicht um mehrere Gesellschaften, sondern um die eine Gesellschaft, zu der wir alle gehören, oder – ganz pragmatisch gesagt – um die einzige Gesellschaft, die wir haben“, so Schosche.
Mehr Teilhabe von MigrantInnen
Besonders die gesellschaftliche Teilhabe von MigrantInnen liegt Schosche am Herzen – in diesem Bereich gehe zu wenig voran, meinte der CEO von ALPHA plus. Auf seine Eröffnungsrede folgten Begrüßungsworte des Wiener Integrationsstadtrats Jürgen Czernohorszky und der AK-Präsidentin Renate Anderl. „Integration bedeutet für mich, die Teilhabe aller Menschen an unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Es ist daher die Aufgabe von Integrationspolitik, dafür zu sorgen, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, sich zu bilden, zu entfalten und ihr Leben selbst in die Hand nehmen zu können“, so Stadtrat Czernohorszky. AK-Präsidentin Anderl teilte diese Auffassung von Integration und betonte den gemeinschaftsstiftenden Charakter des Gipfels: „Es gibt immer wieder Versuche, Menschen gegeneinander aufzuhetzen oder Behauptungen, ‚Ausländer‘ würden den ‚Österreichern‘ die Jobs nehmen. Der Integrationsgipfel ist eine gute und wichtige Veranstaltung, um eines zu zeigen: Es gibt in unserem Land viele Menschen, die sich ernsthaft und abseits von populistischen Parolen mit gelingender Integration auseinandersetzen.“
BP Van der Bellen setzt auf Dialog
Auch der „Hausherr“, wie ihn die Moderatorin Eser Akbaba (ORF) gelungen anmoderiert hatte, meldete sich zu Wort. Via Videobotschaft stellte der Bundespräsident klar: Österreich – das sind wir alle. „Es geht nicht nur um Integration, es geht vor allem um gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft. Das betrifft uns alle. Zentrale Aufgabe ist es, die Menschenwürde aller hier Lebenden zu achten und einander in Respekt zu begegnen. Den Dialog zu stärken. Das gegenseitige Interesse zu wecken. Einander zusammenzubringen.“ Wie Projektleiter Schosche stellte auch das Staatsoberhaupt die gleichberechtigte Teilhabe in den Fokus – und verwies auf die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Gipfels. „In Österreich heißt es auch: ,Durchs Reden kommen d’Leit zam.‘ Der erste Integrationsgipfel bringt heute viele, viele Akteurinnen und Akteure ,zam‘.“
El-Mafaalani überzeugt mit Fakten über Paradoxien
Nach der Videobotschaft des Präsidenten schritt Migrationsforscher Aladin El-Mafaalani zum Rednerpult. Seine These sorgte für Aufsehen – insofern man seinen Bestseller „Das Integrationsparadox“ nicht schon zuvor gelesen hatte –, ist aber im Kern ebenso nachvollziehbar wie realistisch: „Wer davon ausgeht, dass Konfliktfreiheit ein Gradmesser für gelungene Integration und eine offene Gesellschaft ist, der irrt. Konflikte entstehen nicht, weil die Integration von Migranten und Minderheiten fehlschlägt, sondern weil sie zunehmend gelingt. Gesellschaftliches Zusammenwachsen erzeugt Kontroversen und populistische Abwehrreaktionen – in Europa und weltweit.“ Das Publikum war vom Vortrag des deutschen Soziologen begeistert – seine Worte sollten allen Anwesenden noch lange in Erinnerung bleiben.
All-Female-Panel bei der Podiumsdiskussion
Ein starkes Zeichen für Frauenpower in der Migrationsdebatte setzten Beate Meinl-Reisinger (NEOS), Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne), Nurten Yilmaz (SPÖ), die Menschenrechtsaktivistin Mahsa Ghafari und „Standard“-Journalistin Olivera Stajić in der Podiumsdiskussion zum Thema „Zukunft der österreichischen Integrationspolitik“. Zur gegenwärtigen Situation in der Integrationspolitik meinte Nationalratsabgeordnete Yilmaz (SPÖ): „Es ist wirklich ein Stillstand zurzeit. Eine ‚Wer sich als Erstes bewegt, verliert‘-Situation.“ NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger sieht die migrantischen Fähigkeiten nicht optimal ausgeschöpft: „Es ist eine Schande und auch eine wirtschaftspolitische Unvernunft, diese großen Potenziale einer zugewanderten Gesellschaft überhaupt nicht zu nutzen.“ Olivera Stajić, die sich in ihrer Kolumne „Gemišt“ mit Kritik an der Integrationspolitik eigentlich nicht zurückhält, hob aber auch einen positiven Aspekt hervor: „Was positiv ist, ist, dass wir die Integrationspolitik mittlerweile schon als Querschnittsmaterie diskutieren.“ Es wurde auch sachdienlich über den Integrationsbegriff debattiert. Die stellvertretende Klubobfrau der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, hielt fest: „Es ist mir sehr wichtig, dass wir, wenn wir über Integration reden, nicht Assimilation meinen.“ Mahsa Ghafari verwies indes auf Verzweigungen innerhalb des Integrationsdiskurses: „Es kann eigentlich keine Integrationsdebatte geführt werden, ohne eine Rassismusdebatte miteinzubeziehen.“
ExpertInnenrat „Migration.Integration.Teilhabe“ ins Leben gerufen
Im Rahmen des Integrationsgipfels wurde auch der neu gegründete ExpertInnenrat „Migration.Integration.Teilhabe“ vorgestellt. Dieser verfolgt das Ziel, jährlich einen „österreichischen Integrationsplan“ auszuarbeiten, der konkrete Maßnahmenvorschläge von ExpertInnen zu verschiedenen gesellschaftsrelevanten Themen beinhaltet. Derzeit besteht der ExpertInnenrat aus 31 Mitgliedern, die sich in vier verschiedenen Arbeitsgruppen engagieren: Arbeit, Bildung, Gesundheit und Teilhabe. Die Arbeitsgruppe „Arbeit“ beschäftigt sich mit den Themen „Freiwillige Arbeit von MigrantInnen“ und „Diskriminierung am Arbeitsplatz“. Die Kernthemen der Arbeitsgruppe Bildung lauten in diesem Jahr „Erwachsenenbildung“, „Schule“ und „Elementarpädagogik“, wobei unter anderem auf mehrsprachige Schulen sowie die Schulvorbereitung von Kindern (und Eltern) mit Migrationshintergrund Bezug genommen wird. Die Arbeitsgruppe „Gesundheit“ befasst sich mit dem Themenschwerpunkt „Psychische Gesundheit“. In der Arbeitsgruppe „Teilhabe“ werden Maßnahmen zur politischen Partizipation von MigrantInnen sowie zur interkulturellen Öffnung von Institutionen ausgearbeitet. Nach der Fertigstellung des Integrationsplans wird dieser an relevante Institutionen und Organisationen verschickt. Auf dem Integrationsgipfel waren Dr.in Judith Kohlenberger aus der Arbeitsgruppe „Gesundheit“ und Dr. Thomas Fritz aus der Arbeitsgruppe „Bildung“ vor Ort, gaben Einblicke in ihre Arbeitsfelder und stellten sich den Fragen der Anwesenden. Nach der Vorstellung des ExpertInnenrats ging es mit der zweiten Diskussionsrunde des Abends weiter, in der VertreterInnen von MigrantInnenorganisationen und öffentlichen Institutionen über das Thema „Rolle der MigrantInnen in der Einwanderungsgesellschaft“ debattierten.
Positionspapier „MigrantInnenmedien. Für ein Miteinander“
Auf dem Mediengipfel, der auf Anregung der beiden mehrsprachigen Verlagshäuser KOSMO und BUM initiiert wurde, standen die Partizipationsmöglichkeiten und die gesellschaftliche Relevanz von Ethnomedien im Fokus. Das Ziel der MigrantInnenmedienkonferenz war die Gesellschaft und andere MedienvertreterInnen für die Wichtigkeit von Ethnomedien zu sensibilisieren sowie auf deren unterschätzte Reichweite und meinungsbildende Funktion innerhalb der Communitys aufmerksam zu machen. So kam ein Positionspapier zustande, das zentrale Aspekte beleuchtet und Forderungen erhebt. Dabei wird besonders der vielschichtige Auftrag von MigrantInnenmedien proklamiert: Diese fungieren als InformationsträgerInnen, VermittlerInnen und RepräsentantInnen von MigrantInnencommunitys und fördern die gesamtgesellschaftliche Integration in ihrer Funktion als Bindeglied zwischen der österreichischen Mehrheitsgesellschaft und Menschen mit Migrationshintergrund. Daher insistieren sie auf ein stärkeres Standing migrantischer JournalistInnen, die – besonders wenn es um das Thema Migration geht – ebenso zu Podiumsdiskussionen eingeladen werden sollten. Zudem fordern sie eine allgemeine Presseförderung für MigrantInnenmedien und eine Antidiskriminierungsregelung bei der Vergabe von Inseraten, da migrantische Medien ohnehin schon mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hätten. Weiters streben sie eine Qualitätsdefinition an, um seriöse MigrantInnenmedien von unseriösen unterscheiden zu können.
Die Wirtschaftsagentur Wien baut auf MigrantInnenökonomien
Auch die Wirtschaftsagentur Wien beteiligte sich mit einer Veranstaltung am Integrationsgipfel. Ihrer Einladung zur Wirtschaftskonferenz folgten rund 30 Personen aus migrantischen Wirtschaftsvereinen, diversen Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen. Die Wirtschaftsagentur misst MigrantInnenökonomien eine hohe Relevanz bei und unterstützt zukünftige UnternehmerInnen mit Migrationshintergrund mit speziellen Angeboten und Branchenworkshops – unter anderem bietet sie Beratungen in 17 Sprachen an. Auf der Konferenz stand eine Frage im Zentrum: „Welche Rolle spielen MigrantInnenökonomien sowohl in wirtschaftlicher als auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht?“ Besonders intensiv wurden die Herausforderungen und Chancen von MigrantInnenökonomien am Wirtschaftsstandort Wien mit Fritz Strobl (Stadt Wien) und Hans Arsenović (WKW) diskutiert. Konsens herrschte vor allem in der Forderung, strukturelle und bürokratische Hürden in gewerbetechnischen und aufenthaltsrechtlichen Fragen in Bezug auf die Gründung eines Unternehmens abzubauen. Laut Strobl tragen die Aktivitäten von MigrantInnenökonomien enorm dazu bei, dass Wien schon seit vielen Jahren die lebenswerteste Stadt der Welt ist. Arsenović merkte an, dass Vielfalt und Diversität das Erfolgsrezept der Stadt sind.
FOTOS: Igor Ripak