
Die Debatte um das Kopftuchverbot hat erneut gezeigt, wie schwer sich viele Politiker nach wie vor tun, dass es in Österreich Muslime gibt. Wie sich das für heimische Muslime anfühlt, haben wir für diesen Beitrag mehrere Betroffene gefragt.
Gehört der Islam zu Österreich? „Ja, gar keine Frage.“ Alexander Osman antwortet ohne zu zögern auf die Frage. Der Medienwissenschaftler und Extremismusexperte ist im Bezirk Perg im Mühlviertel aufgewachsen. Sein Vater ist aus Kairo, seine Mutter aus Oberösterreich. „Ja“, sagt auch die PR-Expertin und Journalistin Medina Abazi. Sie ist in Teheran geboren und in Villach aufgewachsen, als Kind einer iranischen Mutter und eines kosovarischen Vaters. „Aber lass mich darauf mit einer Gegenfrage antworten: Gehört der Mensch zu Österreich?“ „Ja“, sagt auch Benjamin aus Novi Pazar in Serbien. Er war früher Hodscha. „Da kann kein Mensch etwas dagegen sagen.“ Gastwirt Murat Ladjar, ebenfalls aus Novi Pazar, tut sich ein wenig schwerer mit der Frage. Über Religion will er eigentlich nicht so gerne reden. Die werde oft verwendet, um Menschen auseinanderzubringen. Ladjar sieht sich selbst als Muslim. Er hält etwa den Ramadan ein, „aber mehr aus Tradition und Gesundheit, weniger wegen der Religion. Mit dem Rauchen ist es halt ein wenig schwierig.“ Ansonsten habe er ein distanziert-pragmatisches Verhältnis zu seiner Religion, ganz in exjugoslawischer Tradition. Tito trägt er bis heute buchstäblich auf dem Herzen, als Tätowierung.
Strache: „Der Islam ist kein Teil Österreichs“
Fragt man genauer nach, zeigt sich: Die Frage ist eigentlich falsch gestellt. Sie beinhaltet schon eine Wertigkeit, macht den Islam zum Fremden, über das jemand eine Meinung hat oder auch nicht. So antwortet etwa Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) in einem Interview: „Nein! Der Islam ist kein Teil Österreichs. Wir haben eine christlich-jüdische Prägung in Mitteleuropa. Bürger mit islamischem Glauben sind aber heute Teil der Gesellschaft.“ Der Islam wird zum abstrakten Fremden, das die österreichische Idylle stört. Die Frage nach der Zugehörigkeit der Religion wird zur Schablone, die eigentlich Bilder der österreichischen Gesellschaft konstruieren soll. Dass sich tatsächliche oder vermeintliche Muslime durch solche Bilder ausgegrenzt fühlen, ist sozusagen gewünschter Kollateralschaden. „Die Frage ist, wie definieren wir Österreich?“, beschreibt Kommunikationswissenschaftler Osman. „Ist es immer noch weiß, Schnitzel und Lederhosen? Oder ist es vielfältig?“ Die Frage betrifft beileibe nicht nur Muslime.
Identitätsangebot
Die Ausgrenzung hat Konsequenzen. Muslime würden sich schwertun, für sich ein Identitätsangebot in dieser Gesellschaft zu finden, sagt Osman. Das mache es schwer, sich als Teil der Gesellschaft zu sehen. „In Deutschland ist der Diskurs sehr ähnlich. Eine Studie unter deutschen muslimischen Jugendlichen zeigt: Je religiöser sie sind, desto weniger fühlen sie sich Deutschland verbunden. Das wird in Österreich nicht viel anders sein.“ In Großbritannien sei das anders. Dort seien die Identitätsangebote breiter. Ein quasi automatischer Widerspruch zwischen Muslim- und Britischsein werde nicht konstruiert. Das habe auch damit zu tun, dass sich die britische Gesellschaft als Einwanderungsgesellschaft verstehe. Die österreichische Gesellschaft habe sich dazu nicht durchgerungen. Obwohl es kaum Länder in Europa gebe, in die ein höherer Anteil an Menschen zugewandert ist. Dass die Bevölkerung in Österreich in den vergangenen 30 Jahren von 7,5 auf knapp 8,8 Millionen Einwohner gewachsen ist, sei praktisch ausschließlich auf Zuwanderung zurückzuführen.
Gemeinsame muslimische Identität
Nach Ansicht von Medina Abazi ist es auch die gemeinsame Erfahrung der Ausgrenzung, die erst so etwas wie eine gemeinsame muslimische Identität in Österreich entstehen lässt. „Wir alle haben schon Ausgrenzungserfahrungen gemacht“, beschreibt sie. Dauerdiskussionsthemen: Sprachkenntnisse und Kopftuch. Damit sei auch sie konfrontiert, die hier aufgewachsen ist, Schule und Uni absolviert hat und mit unüberhörbarem kärntnerischen Akzent spricht. Ein Kopftuch trägt sie nur, wenn sie ihre Familie im Iran besucht. Dort bleibt ihr auch keine Wahl. In Österreich war das nie Thema. Angesprochen wird sie trotzdem darauf. „Da wird so getan, als sei jede Frau, die ein Kopftuch trägt, automatisch dumm und unterdrückt“, sagt sie. Der Druck erzeuge ein, wenngleich vages, Zusammengehörigkeitsgefühl, das sonst vermutlich nicht da wäre.
Predigten in der Sprache der Mitglieder
Moscheegemeinschaften sind in der Regel nach der Herkunft der Mitglieder strukturiert. Im 16. Wiener Gemeindebezirk etwa gibt es an der Ecke Brunnengasse/Menzelgasse den Verein albanischer Muslime mit Gebetsräumen im Erdgeschoß eines Wohnhauses. „Unsere Mitglieder sind zu 80 Prozent Albaner aus Mazedonien. Der Rest kommt großteils aus dem Kosovo und Südserbien, wo es auch eine albanische Minderheit gibt“, beschreibt Artan Isrefi, Obmann des Moscheevereins. Er selbst kommt aus Ohrid in Mazedonien. An der Ecke Hippgasse/Hasnerstraße hat ein bosnisch-muslimischer Verein eine kleine Moschee im Erdgeschoß eingerichtet. Zwischen den Moscheen liegen keine hundert Meter. Zu tun haben die beiden Gemeinschaften wenig miteinander. Das liege auch daran, dass die Predigten in der Sprache der Mitglieder gehalten werden. Bosnische Muslime würden von einer Predigt in Albanisch wenig haben –und umgekehrt.
Leitlinien für Moscheevereine
Dass in Wiener Moscheen auf Bosnisch, Albanisch, Türkisch, Arabisch, Farsi etc. gepredigt wird, schafft bei Menschen Misstrauen, die die österreichische Gesellschaft nach wie vor als ethnisch homogene, rein deutschsprachige und nach Möglichkeit christliche Gesellschaft sehen. Immer wieder werden Forderungen laut, die Predigten in Moscheen hätten auf Deutsch zu erfolgen. Begründet wird das mit angeblicher Radikalisierungsgefahr. Die IGGÖ gibt diesem Druck von rechts teilweise nach. Ende 2017 stellte sie Leitlinien für Moscheevereine vor, die der IGGÖ angehören. Dort ist unter anderem vorgesehen, dass Predigten auf Deutsch zusammengefasst werden sollen. Dabei sind weder Gottesdienste noch Predigten in Fremdsprachen in Österreich etwas Ungewöhnliches. Zwischen der albanischen und der bosnischen Moschee im 16. liegt beispielsweise die katholische Pfarrkirche Maria Namen. Sie ist die Kirche für die polnische Gemeinschaf der Umgebung, parallel hat sich eine spanischsprachige katholische Gemeinde in dem Betonbau einquartiert. Die Gottesdienste finden in der Sprache der Mitglieder statt. Thema einschlägiger Gesetzesinitiativen war das noch nie. Dabei könnte man das Verhältnis einzelner Mitglieder der polnischen Gemeinde von Maria Namen zum liberalen Rechtsstaat durchaus hinterfragen. Immer wieder hängen vor der Kirche kleine Plakate, die Werbung für die klerikal-nationale polnische Regierungspartei PiS machen.
Die ÖIF-Methode
Wie sehr Muslime und der Islam in Österreich seit 15 Jahren Thema sind, steht in keinem Verhältnis zu dem, was man allgemein über Muslime in Österreich weiß. Nicht einmal die Zahl der Muslime in Österreich ist bekannt. Der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) schätzt sie auf 700.000. Die Zahl erscheint Kritikern– unter ihnen auch religiöse Muslime – zu hoch geschätzt. Der ÖIF gehört zum Innenministerium. Er spiele vor allem eine politische Rolle, sagen Kritiker. Die ÖIF-Methode, die Zahl der Muslime zu schätzen, ist durchaus hinterfragenswert. Als Muslim gilt, wer einen muslimischen Elternteil hat. Bei Einwanderern erster Generation rechnet der ÖIF mit der Verteilung der religiösen Bevölkerungsgruppen aus dem Herkunftsland. Beides ist fehleranfällig. Hier reicht ein Blick nach Bosnien: Aus dem Land sind in den vergangenen 25 Jahren 700.000 Menschen ausgewandert. Die meisten Auswanderer waren bosnische Serben und bosnische Kroaten. Sie bekommen einfach die serbische bzw. kroatische Staatsbürgerschaft . Bosnische Muslime haben diese Möglichkeit in der Regel nicht. Das hatte und hat zur Folge, dass der Anteil muslimischer Emigranten aus Bosnien weitaus geringer ist als der Anteil von Muslimen an der bosnischen Gesamtbevölkerung. Das wiederum hat dazu geführt, dass die bosnischen Muslime nicht mehr um die 40 Prozent der schrumpfenden bosnischen Gesamtbevölkerung stellen wie vor dem Bosnienkrieg, sondern mittlerweile 50 Prozent. Egal, ob der ÖIF davon ausgeht, dass 40 Prozent der Einwanderer aus Bosnien Muslime sind oder 50– die Zahl ist zu hoch gegriffen. Das ist durchaus relevant: Nirgendwo außerhalb des ehemaligen Jugoslawien leben so viele Menschen bosnischer Herkunft wie in Österreich. Bosnier sind nach den Türken die zweitgrößte ethnische Gruppe unter den heimischen Muslimen. Auch historisch ist diese Gruppe wichtig: Bosnische Muslime waren der Grund, dass der Islam in Österreich 1912 zur anerkannten Religionsgemeinschaft wurde. Darauf, ob sich jemand aus einer muslimischen Familie überhaupt als Muslim versteht, nimmt die ÖIF-Schätzung keine Rücksicht.
Die Ausgrenzung wegen der Religion war nicht immer ein Problem. Während ihrer Kindheit und Jugend in Villach habe sie sich nie ausgegrenzt gefühlt, schildert Medina Abazi. Es habe eher an den Eltern gelegen, dass sie in manchen Bereichen nicht ganz so durfte wie die Gleichaltrigen: „Meine Eltern sind moderne Muslime. Aber wenn du als Mädchen in ein gewisses Alter gekommen bist, war Fortgehen mit Jungs nicht gern gesehen. Sex vor der Ehe war sowieso ein Tabu.“ Der Diskurs habe sich erst gedreht, nachdem die FPÖ von der Hetze gegen Ausländer generell auf Muslim- Bashing umgestiegen war. Dass sich Muslime häufi g nicht zugehörig fühlen, ist für Alexander Osman nicht nur Ergebnis eines veralteten Österreichbilds und gesellschaftlicher Ausgrenzungen. Es gebe Communitys, in denen der Diaspora-Gedanke sehr stark sei. Österreich werde als Durchgangsstation betrachtet, die alte Heimat und ihre Traditionen seien die eigentlichen Maßstäbe. „Das ist natürlich zu kritisieren. Aber man darf dabei nicht vergessen: Da wird so getan, als habe man es mit gleichberechtigten Kräften zu tun, als seien die, die ausgrenzen, gleich stark wie die, die sich selbst absondern. Das ist nicht der Fall. Auf der Machtebene gibt es eine Schieflage.“ Soll heißen: Der Großteil des Drucks kommt aus der Mehrheitsgesellschaft.
Zehn Jahre hinten
Unentrinnbar ist die Ausgrenzung für ihn nicht. „Man sieht in anderen Ländern, dass sich hybride Identitäten bilden. Vielen politischen Entscheidungsträgern ist das nicht recht. Nicht-Klarheit ist nicht greifbar.“ In Österreich sei man hier im Vergleich zehn Jahre hinten. „Aber auch hier tri t man junge Menschen mit türkisch klingenden Namen im Sushi-Lokal“, beschreibt er. Die dritte und vierte Generation der Migranten sei auch zunehmend besser gebildet. „Es geht bei der Ausgrenzung natürlich auch um Privilegien, die manche Menschen nicht verlieren wollen: um Bedürfnisse wie Wohnen, um Arbeitsplätze. Die älteren Einwanderer lassen es sich eher gefallen, dass sie dabei benachteiligt sind. Die jungen weniger.“ Dann wird sich auch vielleicht die Frage nicht mehr stellen, ob der Islam zu Österreich gehört. Sondern ob man Menschen wegen ihrer Herkunft und Religion dauerhaft gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft verwehren kann.
Story: Christoph Baumgarten
Fotos: Igor Ripak
Dieser Artikel stammt aus der Jahrespublikation „Integration“, (07.05.2018): Die ganze Publikation finden Sie hier: http://www.integrationswoche.at/integration2018.pdf