
Lesbisch, schwul, Transgender: Migrantinnen und Migranten erfahren oft eine Mehrfachdiskriminierung – von der Mehrheitsgesellschaft und von der Herkunftscommunity. Viele führen ein Doppelleben.
Für viele hat die Flucht in Österreich nie geendet. Sie mussten sich weiterhin verstecken und den Grund ihrer Flucht geheim halten. Es kam zu Übergriffen in den Unterkünften. Homophobie und Transphobie – der traurige Alltag jener Menschen, die aufgrund ihrer Sexualität oder Geschlechtsidentität ihre Heimat verlassen mussten. Seit Mai 2016 unterstützt die Organisation „Queer Base – Welcome and Support for LGBTIQ Refugees“ Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Interpersonen mit und ohne Fluchterfahrung.
„Das Grundthema, warum es uns überhaupt gibt, ist, dass wir im Kontext der Wiener LGBTIQ+ Community festgestellt haben, dass viele Schwule, Lesben und Transpersonen aus ihren Unterkünften weiterfliehen mussten, weil sie dort nicht sicher waren“, weiß Marty Huber, Mitbegründerin und Mitarbeiterin der „Queer Base“. Einige wurden obdachlos und lebten auf der Straße. „Viele Menschen haben dann Unterschlupf in der Türkis Rosa Lila Villa gefunden und in der Bibliothek übernachtet, weil sie sonst nirgendwo unterkommen konnten. Wir haben dann gesagt, dass es so nicht weitergehen könne und dass es eine strukturelle Änderung und die Anerkennung der Gruppe bräuchte“, erzählt Marty Huber. Verhandlungen mit der Stadt Wien folgten. „Der Fonds Soziales Wien hat dann zugestimmt, dass Menschen, die aufgrund ihrer Homosexualität oder Transsexualität geflohen sind, auch in Wien in die Grundversorgung aufgenommen werden“, so Huber. Flüchtlinge müssen seither nicht mehr in den herkömmlichen Unterkünften untergebracht werden.
Der Diakonie Flüchtlingsdienst, mit dem die „Queer Base“ kooperiert, stellt im Rahmen des Projektes „LARES“ 70 Plätze in betreuten Wohngemeinschaften für LGBTIQ-Flüchtlinge zur Verfügung. Bei „Tralalobe“, einem Verein zur Förderung und Hilfe für Bedürftige, gibt es weitere zehn Wohnplätze. Die „Queer Base“ unterstützt Menschen aus 25 Nationen – aus Bangladesch, aus Russland, aber auch aus Tschetschenien und dem Irak. Einige sind aus Syrien, viele aus dem Iran, wo bis dato noch immer die Todesstrafe für Homosexualität droht. Wie in weiteren sieben Ländern – unter anderem in Teilen Somalias und Nigerias.
Fedaa Alarnaoot ist vor drei Jahren aus Syrien geflüchtet und arbeitet seit zwei Jahren bei der „Queer Base“. „Viele Menschen sind in ihrer Herkunftscommunity einem großen Druck ausgesetzt und werden diskriminiert. Auch innerhalb der LGBTIQ+ Community heißt nicht jeder LGBTIQ+ Flüchtlinge willkommen“, erzählt Fedaa Alarnaoot.
„Ihr seid alle Terroristen“
In der lesbisch-schwulen Community in Wien komme es auch immer wieder zu rassistischen Übergriffen oder Bemerkungen wie „Ihr seid alle Terroristen“. Dass es eine Mehrfachdiskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Interpersonen mit Migrationshintergrund gibt, weiß auch Ewa Dziedzic, die 1980 in Polen geboren wurde und im Alter von zehn Jahren nach Österreich migrierte. Die studierte Politologin ist seit mehr als zehn Jahren bei den Grünen Andersrum aktiv und sitzt seit 2015 im Bundesrat. Ewa Dziedzic gründete vor zwanzig Jahren „Vienna Mix“, den ersten Verein für lesbische und schwule sowie Transgender-Migrantinnen und -Migranten in Österreich. Der Nachfolgeverein „MiGAy“ ist heute noch aktiv.
„Es ist sehr schwierig, wenn man eine andere Herkunft hat, aus einem anderen Kulturkreis und aus einem anderen sozial-religiös geprägten Umfeld kommt. Das muss nicht immer der Islam sein. Ich selbst komme aus Polen und ich kenne die polnische Ausprägung des Katholizismus sehr gut, in der Homosexualität verachtet wird. Viele Menschen, die vor einem Outing waren oder sich geoutet haben, haben ein Doppelleben geführt“, sagt Dziedzic.
Bei lesbischen, schwulen, Transgender-Migrantinnen und -Migranten sei es oft der Fall, dass sie nicht wissen würden, wer sie eigentlich sind. „Viele denken, wenn sie sich outen, dann würden sie nicht nur von der Mehrheitsgesellschaft, sondern auch von ihrer Herkunftscommunity abgelehnt werden“, so Dziedzic. Die Herkunftscommunity gebe den Menschen jedoch Halt. „Man ist untereinander gut vernetzt und unterstützt sich gegenseitig. Für viele Menschen ist es schwer, darauf zu verzichten.“
Outing oder Doppelleben?
Ewa Dziedzic sei sehr offen mit ihrer sexuellen Orientierung umgegangen und habe auch in Kauf genommen, dass sich viele polnische Menschen von ihr abgewendet hätten. „Auf der anderen Seite bin ich so selbstbewusst damit umgegangen, dass sehr viele wieder auf mich zugekommen sind. Ich werde mit meiner Lebensgefährtin überall eingeladen. Und es ist keine Selbstverständlichkeit, dass ein lesbisches Pärchen auf einen polnischen Ball geht.“ Das seien die 20-jährige Arbeit und eine große Portion Selbstbewusstsein gewesen, sagt sie. „Ich bin auch in Polen geoutet. Die meisten Menschen haben nicht den Luxus, dass sie sich überall outen können und das gut überstehen. Viele sind auf ihre Herkunftscommunity angewiesen, weil sie die mentale Unterstützung brauchen oder sie ökonomisch an den Familienclan angebunden sind. Die Familie sowie die Herkunftscommunity sind für die meisten Migrantinnen und Migranten sehr wichtig, weil sie ihnen Halt geben, der von der Mehrheitsgesellschaft meist nicht garantiert ist. Sehr viele tun sich deshalb sehr schwer und wählen den Weg, ein Doppelleben zu führen“, führt Ewa Dziedzic aus.
In Syrien wie auch im Libanon sei kein Coming-out möglich, sagt Fedaa Alarnaoot im Interview. Den Menschen würden Gefängnisstrafen von sechs Monaten bis zu drei Jahren drohen. Die LGBTIQ+ Community kommuniziere im Untergrund über soziale Medien. „Man muss aber enorm aufpassen. Wenn das irgendjemand herausfindet, dann bekommt man selbst und auch die Familie sehr viele Probleme“, weiß Fedaa Alarnaoot. In Österreich fühlt sich Alarnaoot frei, da er offen über seine Sexualität sprechen kann. Kontakt zur syrischen Community habe er jedoch kaum noch. Dass auch in der Migrationscommunity, wie etwa in der türkischen oder serbischen, viele ein Doppelleben führen, weiß Marty Huber von der „Queer Base“. „Es geht um die gemeinsame Sprache, um die gemeinsame Kultur. Aber die Menschen trauen sich meist nicht, sich zu outen“, sagt Huber.
Story: Alexandra Laubner
Foto: Stanislav Jenis
Dieser Artikel stammt aus der Jahrespublikation „Integration“, (07.05.2018): Die ganze Publikation finden Sie hier: http://www.integrationswoche.at/integration2018.pdf