
Im Interview spricht Regisseur und Drehbuchautor Arman T. Riahi über die iranische Küche, Flucht, Film und vieles mehr.
INTEGRATION: Sie wurden im Iran geboren. Oft hört man von MigrantInnen, dass sie Schwierigkeiten damit haben, sich als ÖsterreicherInnen zu sehen. Was bedeutet Heimat für Sie und ist es wirklich so wichtig, sich mit einer Heimat identifizieren zu können? RIAHI: Ich finde, dass es nicht nur eine Heimat gibt, sondern es kann auch mehrere Heimaten geben. Heimat ist immer dort, wo man das Gefühl hat, dass man einen Platz gefunden hat. Hat man dieses Gefühl nicht, kann man sich dort auch nicht zu Hause fühlen. Ich kann sagen, meine Heimat ist Wien. Aber eigentlich sehe ich Länder und Nationalitäten nicht als Identifikationswege. Für mich sind es eher Örtlichkeiten oder Dialekte, die Heimat ausmachen, und nicht, ob jemand Perser oder Iraner ist. Weil, was ist denn ein Iraner? Was ist ein Österreicher? Es gibt so viele Wirklichkeiten innerhalb einer Kultur, dass diese Schubladisierung für mich „U-Bahn-Zeitungs-Niveau“ ist.
INTEGRATION: Was finden Sie an der iranischen Kultur besonders positiv, was Sie vielleicht in Österreich ein wenig vermissen? RIAHI: Die Küche! Ich finde die iranische Küche eine der besten, die es gibt auf der Welt. In Österreich gibt es auch gute Sachen, vor allem das Panierte und die Mehlspeisen, Schnitzel und Tafelspitz. Was ich aber auch sehr stark im Iran fühle, obwohl ich seit meiner Kindheit nicht mehr dort war, sind der familiäre Zusammenhalt und das kulturelle Zusammensein. Das Gefühl habe ich in Österreich weniger, die Leute sind hier distanzierter und die Identifikation mit der Familie ist etwas anderes.
INTEGRATION: Ist ein Migrationshintergrund für einen österreichischen Filmemacher von Vorteil? RIAHI: Nein, man kann nicht sagen, dass der Migrationshintergrund mir dabei geholfen hat, Filme zu machen. In manchen Situationen ist es natürlich günstig. Bei meinem Bruder und mir oder auch anderen talentierten Filmemachern hilft der Migrationshintergrund vielleicht dabei, von der Konkurrenz hervorzustechen. Für ein kleines Land wie Österreich gibt es sehr viele Filmemacher. Aber wir können Geschichten erzählen, auf die wir eine spezielle Perspektive haben, vielleicht auch aus kulturellen Bereichen, in die wir durch unsere zweite Nationalität einen besonderen Einblick haben. Ich bezeichne sie als zweite Kultur, weil meine erste immer noch die österreichische Kultur ist, weil ich hier aufgewachsen bin. Im Großen und Ganzen kann ich aber nicht sagen, dass es mir jetzt viele Vorteile bringt, dass ich einen Migrationshintergrund habe.
INTEGRATION: 2013 haben Sie gemeinsam mit Ihrem Bruder Arash den Dokumentarfilm „Everyday Rebellion“ gedreht, zu dem Sie beide auch das Drehbuch entwickelt haben. Wie kommt es, dass Sie beide in der Filmbranche tätig sind? Sind Sie neben einem Kino aufgewachsen? RIAHI: Ich kann mich erinnern, dass meine Eltern als politische Flüchtlinge eine Zeit lang im Iran im Untergrund gelebt haben. Ich war damals noch nicht auf der Welt. Mein Vater musste meinen Bruder irgendwie beschäftigen. Sie sind viel ins Kino gegangen, da er ja nicht zur Schule gehen konnte, weil sie untergetaucht waren. Diese Liebe zum Kino, die von meinem Vater auf meinen Bruder übergegangen ist, auch zur Kultur und zur Literatur, zum Geschichtenerzählen, die hab ich dann ebenso entdeckt. Mein Lieblingsgenre ist bis heute der Western. Es wurde also irgendwie übergeben. Später waren wir dann auch beide in einer Schule, wo es ein Freifach gab, in dem wir mit Kameras arbeiten konnten. Es war Glück, dass wir einen Lehrer in der Schule hatten, der erkannte, dass wir Interesse dafür zeigen, und der hat uns auch ein wenig in die Richtung gepuscht. Es hat aber sicher auch ein bisschen mit unserer Fluchtgeschichte zu tun, dass wir viel von Erinnerungen und Erzählungen gelebt haben. Ich meine, das macht eh jeder, aber es war bei uns durch unsere negativen Erfahrungen als politische Flüchtlinge vielleicht noch ein bisschen verstärkt.
INTEGRATION: Das heißt, die Flucht hat Sie kreativer gemacht? RIAHI: Ja, weil ich sicher auch in einem Umfeld aufgewachsen bin, in dem ich diese Kreativität ausleben konnte. Ich habe zwar auch studiert, aber ich habe immer auch das gemacht, was mich interessiert hat. So habe ich beispielsweise nebenbei Kurzfilme und Musikvideos gemacht. Ich habe mir das schon erkämpft, aber gleichzeitig die Grundlage von meinen Eltern bekommen, auch an mich zu glauben. Ich meine, dass die Identifikation mit Österreich sehr viel mit Selbstwertgefühl zu tun hat. Das Gefühl, auch dafür zu stehen und zu sagen, ich bin vielleicht nicht so wie ihr, aber ich bin trotzdem etwas wert. Es ist wichtig, einen Glauben an sich selbst zu haben, was wiederum auch viel Erziehungssache ist.
INTEGRATION: In Ihrem Film „Die Migrantigen“ konnten Sie das Thema Migration auf eine witzige und doch sehr kritische Art und Weise aufnehmen. Haben Sie mit diesem Filmerfolg gerechnet? RIAHI: Gerechnet habe ich nicht damit, aber wir haben immer gehofft, dass der Film ein Erfolg wird. Man kann nie mit so etwas rechnen, vor allem nicht in Österreich. Die meisten Leute wissen nicht einmal, dass österreichische Filme existieren. Wir kommen auch nie annähernd an die Schwelle, so viel Aufmerksamkeit zu erreichen wie ein Hollywood-Film. Wir haben aber immer gehofft, dass wir die Menschen mit Humor erreichen. Es ist ja eine Komödie und kein Drama. Wir haben gesehen, dass es hier eine Marktlücke gibt. Es gab keine Filme in Österreich, die das Thema Migration auf eine humoristische Art und Weise behandelt haben, oder nur sehr wenige. Das wollten wir ändern und wir haben es zum Glück geschafft. Es war eigentlich der dritterfolgreichste Film des Jahres 2017 in Österreich. Wir sind extrem dankbar und froh darüber, denn das hätte auch in die Hosen gehen können. Gerade wenn du eine Komödie machst und niemand lacht, dann bist du gescheitert.
INTEGRATION: Sind Sie eigentlich ein „Migrantiger“? RIAHI: Ja, eigentlich schon, wenn ich so sehe, was in den vergangenen ein, zwei Jahren gesellschaftlich passiert ist, dann bin ich sehr „migrantig“. Ich identifiziere mich dann noch mehr mit meinem Migrationshintergrund. Aber schaut’s mich an, ich habe auch Migrationshintergrund und trotzdem habe ich es geschafft. Man muss sich umso mehr für die Leute einsetzen, die nicht so wie ich eine Plattform haben. Es gibt ja ganz viele Menschen, die jetzt stark von der neuen Politik beeinflusst werden. Die haben niemanden und leben unter der Armutsgrenze. Die sind vielleicht sogar ganz außerhalb des Systems und haben keine sozialen Netze. Wer kümmert sich um die? Genau für jene muss man sich einsetzen und schauen, dass die Menschen, die nicht in dieses Täterbild des Boulevards hineinpassen, einfach nicht unter die Räder kommen. Mich macht das sehr grantig, dass da ein nationaler Schulterschluss fehlt. Wir sollten uns eigentlich alle hinstellen und sagen: „So weit und nicht weiter.“ Das muss einfach jetzt passieren, sonst wird es gefährlich.
INTEGRATION: Wären Sie Integrationsminister, wie würden Sie es richtig machen? RIAHI: Kindergartenpflicht! Das wäre das Allererste, was ich machen würde. Kostenfrei natürlich. Es müssten alle ihre Kinder in den Kindergarten schicken, egal ob sie Zeit dafür haben oder ob beide Elternteile arbeiten und ob die Mutter Deutsch spricht oder nicht.
INTEGRATION: Wie geht man gegen immer größer werdenden Populismus und Hass im Netz vor? RIAHI: Indem man diese Bestrebungen auch immer stärker bekämpft. Es gibt beispielsweise bis heute keine Alternative zur HEUTE oder ÖSTERREICH in den U-Bahnen. Warum gibt es nicht eine dritte U-Bahn-Zeitung, die gegen diesen Boulevard arbeitet?
INTEGRATION: Weil man Hass besser verkaufen kann? RIAHI: Ja, aber man muss auch beginnen, das zu bekämpfen. Was ich nicht verstehe, ist, warum diese Boulevardzeitungen überhaupt Presseförderung bekommen. Oder warum kann Facebook nicht besser aufpassen, was auf seiner Plattform passiert? Es gibt Neonazis, Pädophile und so weiter auf dieser Plattform, aber warum? Warum sind diese Konzerne so, warum kriecht die Politik jenen so sehr in den Arsch, dass sie ihnen nicht einmal Feuer unter dem Hintern macht?
Foto: Michael Mazohl
Dieser Artikel stammt aus der Jahrespublikation „Integration“, (07.05.2018): Die ganze Publikation finden Sie hier: http://www.integrationswoche.at/integration2018.pdf